Die Parteihochschule der SED -

ein kritischer Rückblick

 

Leseprobe aus

 

Heinz Wachowitz, Uwe Möller – unter Mitwirkung von Edgar Karsch und Eckbert Krappe  

Wie wir den Kapitalismus einschätzten - und wie wir ihn heute sehen. Zur Arbeit des Lehrstuhls Politische Ökonomie des Kapitalismus

 

Die jetzt in aller Munde befindliche Globalisierung ist die nächste Etappe auf dem von Marx und Engels im "Manifest" vorausgesehenen Zug des Kapitalismus, nach und nach die ganze Welt zu ergreifen und nach seinem Bilde zu formen.

 

Im Kern besteht sie in einer neuen, höheren Stufe in der Freiheit der Kapitalbewegung in der ganzen Welt.

 

Wichtige, diese Freiheit behindernde politische und ökonomische Hemmnisse wurden nach dem 2. Weltkrieg, während der Zeit des Wettkampfs der Systeme und nach dem Untergang des sozialistischen Weltsystems beiseite geräumt bzw. zumindest in erheblichem Maße abgebaut. Die bedeutendsten Anfangsschritte dafür waren nach der vor allem durch nationale Befreiungskämpfe erzwungenen Entkolonialisierung das Herabsetzen der ökonomischen "Zäune" um die Nationalstaaten, vor allem die Senkung der Zölle, die Begrenzung von Einfuhrbeschränkungen, die Verminderung beziehungsweise Abschaffung von nationalen Subventionen u. ä. (Im GATT - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen - später in der WTO - Welthandelsorganisation - festgelegt und noch immer umkämpft).

 

Diese politischen Änderungen schufen wesentlich neue Bedingungen für die Daseins- und Bewegungsweise des Kapitals in der Welt. Sie gaben der kapitalistischen Konkurrenz international mehr Raum, mehr Möglichkeiten und begünstigten den Stärkeren. Darum taten die USA alles, diese Regelungen durchzusetzen und waren größtenteils deren Vorreiter.

 

Nach 1990/91 - durch den Zusammenbruch des Sozialismus in Europa und durch die zunehmende "Öffnung" in China - wurde die freie Kapitalbewegung zu einem globalen Phänomen und Kennzeichen der heutigen Globalisierung.

 

Es handelt sich aber bei alledem nur um eine neue höhere Stufe in der Freiheit der Kapitalbewegung. Die "ökonomischen Zäune" um die Länder (bzw. Ländergruppen wie die EU) und um die Volkswirtschaften sind bei weitem noch nicht völlig verschwunden. Um verbliebene Reste des Protektionismus - wie bestimmte Zölle, Subventionen, Einfuhrkontingentierungen und ähnliches - wird noch immer heftig gekämpft, besonders zwischen den stärkeren kapitalistischen Mächten und bestimmten Gruppen von Entwicklungsländern. Die alten Mächte verteidigen bzw. ringen um die Durchsetzung von Regelungen, die ihrem Kapital und mittelbar auch ihrer Bevölkerung auf Kosten Schwächerer Vorteile bringen bzw. erhalten. Noch sind viele Regelungen oder ihre Handhabung neokolonialistisch bestimmt. Siehe dazu die Streitpunkte der letzten Tagungen der WTO oder sich anbahnende Entwicklungen in Lateinamerika usw.

 

Die größere globale Freiheit der Kapitalbewegungen gilt bis heute ohnehin nur vor allem für das Finanzkapital, für Kapitalexport und den Warenabsatz.

 

Ein wichtiger Faktor ist noch weitgehend ausgenommen: die Arbeitskraft. Ihre weltweite Freizügigkeit ist noch eng begrenzt. Einmal von den Arbeitskräften selbst her. Die Menschen sind sesshaft, über Familienbindungen mit der Heimat verwoben, durch Sprach- und kulturelle Barrieren nicht beliebig verpflanzbar. Aber weltweit gibt es doch Millionen, die, um ihr Leben und das ihrer Familien überhaupt notdürftig erhalten zu können, bereit wären, für niedrigen Lohn in fremden Ländern zu arbeiten oder nach dahin vollständig umzusiedeln.

 

Aber das geht nur in äußerst beschränktem Maße, denn diese Freizügigkeit der Arbeitskräfte wird durch die Hauptländer des Kapitals sehr stark begrenzt. Es werden erhebliche staatliche Hindernisse gegen Zuwanderung errichtet: die zum Teil drastischen Einwanderungsgesetze zeigen das (USA, EU).

 

Hinter diesen Beschränkungen der freien Konkurrenz um den Verkauf der Arbeitskraft steht vor allem der in den alten Ländern erreichte höhere materielle und zivilisatorische Lebensstandard, von dem die höheren Löhne und die zwar erodierenden, aber insgesamt immer noch vorhandenen sozialen Sicherungssysteme ein wichtiger Teil sind.

 

Obwohl mit dem Untergang des sozialistischen Versuchs in Europa eine politische Schranke gegen Lohnsenkungen im Kapitalismus weggefallen ist, bleibt das Kapital gezwungen, auf diesem Gebiet nur allmählich und ausbalanciert vorzugehen. Aber die Tendenz geht dahin, künftig auch hier die volle Freiheit für das Kapital zu erreichen, das heißt jegliche staatlichen Sicherungssysteme für die Verkäufer der Arbeitskraft (die "Lohn- und Gehaltsabhängigen") zu beseitigen. Der heuchlerische neoliberale ideologische Vorwand wird sein und bleiben: die Befreiung des Menschen von (angeblicher) staatlicher und gewerkschaftlicher Bevormundung.

 

Wir müssen uns klar sein: Der Kapitalismus - besonders in seiner Phase der Globalisierung - läuft genau darauf hinaus, schrittweise die volle Freiheit des Kapitals (ohne nationale, staatliche und gewerkschaftliche Schranken) herzustellen - mit all seiner Übermacht gegenüber den Besitzlosen - und zwar weltweit. Das wird zweifellos ein sehr langwieriger widerspruchsvoller Prozess mit jetzt zum Teil überhaupt noch nicht absehbaren Konfliktfeldern und Konflikten werden.