Die Parteihochschule der SED - ein kritischer Rückblick |
Leseprobe aus
Bernd Preußer
unter Mitarbeit von Harry
Milke, Eckhard Loth und Frank Szrama
Zur Arbeit des Lehrstuhls Lehre von der marxistisch-leninistischen Partei, dem Parteileben und dem Parteiaufbau
Eine gewisse Schlüsselrolle spielten für uns die Überlegungen von Marx
und Engels, für die das bereits angeführte Wort von Engels „Die Menschen
machen ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen nach einem
Gesamtplan, selbst nicht in einer bestimmt abgegrenzten gegebenen
Gesellschaft“[1]
exemplarisch ist. Wie kommt aber ein auf einem Gesamtwillen beruhender
Gesamtplan zustande? Der Ansatz der christlichen Religion – die Ausgießung
des Heiligen Geistes – scheidet verständlicherweise aus, also muss dieser Gesamtplan
aus der Gesellschaft heraus, in einem großen gesamtgesellschaftlichen Diskurs,
natürlich mit Konflikten und Widersprüchen, entstehen, muss von
gesellschaftlichen Kräften aufgenommen werden, die um die Führung bei der
Verwirklichung dieser Prozesse konkurrieren, und hierzu hat die kommunistische
Partei die besten Voraussetzungen – genauer gesagt, sie sollte sie haben
(siehe beispielsweise Kommunistisches Manifest). In diesem Sinne hat sie eine
„führende Rolle“, und sie hat „’immer’ Recht“ – solange sie eben
die Aufgabe erfüllt, in diesen gesamtgesellschaftlichen Diskurs die
„richtigen“ Gedanken zu verallgemeinern und deren Umsetzung zu initiieren.
Die weitere Entwicklung dieses Gedankens durch Lenin wird nun wesentlich geprägt
durch die historische Situation einer scharfen Auseinandersetzung um Existenz
oder Nichtexistenz, die wenig oder keinen Platz ließ für einen solchen
Diskurs mit konkurrierenden Ansichten, die Partei wurde per se zur führenden
Kraft und ihre Ansichten für richtig erklärt – ein komplizierter und
widersprüchlicher Prozess, der nicht einfach von Lenin durchgesetzt wurde,
sondern von ihm auch in mehreren Werken differenziert und mitunter auch kritisch
betrachtet wurde. Jedenfalls hat dieser Prozess in der Praxis zu einer wohl
recht einseitigen Interpretation des Begriffs „Partei neuen Typus“ (der
durchaus auch zu seiner Zeit einen diskutierenswerten Inhalt hatte) und eben
schließlich zur Festschreibung der führenden Rolle der Partei als
Verfassungsaxiom geführt. Damit wird aber aus einer komplizierten und wohl auch
widersprüchlichen Aufgabe eine bloße Deklaration, die den Sachverhalt auf den
Kopf stellt: Der auf einem „Gesamtplan“ beruhende „Gesamtwille“ wird
nicht aus der Gesellschaft heraus geformt, sondern der Gesellschaft vorgegeben.
Das ist ziemlich verkürzt, soll aber deutlich machen, dass die inhaltlichen
Probleme des Lehrstuhls Lehre von der marxistisch-leninistischen Partei, dem
Parteiaufbau und dem Parteileben durchaus ernsthafter wissenschaftlicher Natur
waren und eigentlich auch in der Gegenwart dringend einer weiteren
wissenschaftlichen Bearbeitung bedürften, wenn die Frage beantwortet werden
soll, wie sich linke Kräfte (zunächst mal unabhängig von konkreter
Parteigliederung) eine gesellschaftlich Entwicklung vorstellen über die Grenzen
hinaus, die der existierende Staat gezogen hat und für die es zur Zeit wohl
keine bessere Bezeichnung als „Sozialismus“ gibt – im Wissen um die
vielfach sehr unterschiedlichen Ausdeutungen dieses Begriffs.
Eine Partei, die in diesem Sinne eine Gesellschaft führen will und kann,
muss notwendigerweise demokratisch verfasst sein. Ohne innerparteiliche
Demokratie kann eine Partei nicht nach „Gesamtwillen“ handeln, denn der kann
naturgemäß eben nur aus der Gesamtheit heraus gestaltet werden. Und es ist
auch aus heutiger Sicht richtig, dass die innerparteiliche Demokratie im
Zusammenhang mit dem demokratischen Zentralismus gesehen wurde. Handeln nach
Gesamtwillen mit Gesamtplan muss einheitliches Handeln sein, aber diese Einheit
muss – wer sich mit Dialektik beschäftigt hat, für den ist das klar – ein
dynamischer Prozess sein. Die gesellschaftlichen Aufgaben verändern sich ständig,
der „Gesamtwille“ muss sich immer wieder neu ein einem Diskussionsprozess
herausbilden, aber er darf sich nicht in der Diskussion erschöpfen, sondern
muss in Handeln münden. Nicht das Prinzip des demokratischen Zentralismus ist
das Problem, sondern die Art und Weise seiner Anwendung. Die SED ist der
(naheliegenden!) Versuchung nicht entgangen, den „Gesamtwillen“ auf dem Weg
von oben nach unten zu erzeugen – sicher in einzelnen Entwicklungsetappen
unterschiedlich, aber jedenfalls im Endeffekt in einer solchen Weise, dass die
innerparteiliche Demokratie zu einer verbalen Hülle entartete. Anfang der dreißiger
Jahre (vor 1933) beschrieb Brecht diesen Zusammenhang noch richtigerweise so:
„Trenne Dich nicht von uns! Wir können irren, und du kannst recht haben, also
trenne dich nicht von uns!“[2] 1989 waren die Verhältnisse
im wesentlichen ungekehrt – wer nicht die gleiche Meinung wie die SED hatte,
wurde gegebenenfalls ausgeschlossen, das passierte auch am Lehrstuhl Partei. Das
ist übrigens keineswegs nur ein Problem der SED gewesen, die theoretische Möglichkeiten
solcher Entwicklungen gerade in Arbeiterparteien wurden schon Anfang vorigen
Jahrhunderts untersucht[3],
und die heutigen „großen Volksparteien“ zeigen diese Tendenzen auch
deutlich. Die heute in der SPD immer wieder auftauchenden Forderungen, wie
„keine Fehlerdiskussion“, „nicht rückwärtsgewandt diskutieren“,
„nach vorn schauen“, „Einheit der Partei wahren“ und manches andere,
sind ja ehemaligen Mitgliedern der SED nicht unbekannt. Das soll die Entwicklungen in der SED aber nicht
entschuldigen, denn sie ist mit der Forderung angetreten, eine Partei
von anderem Charakter zu sein.
[1] Engels an W. Borgius in Breslau, 25. Januar 1894. In: MEW, Bd. 39, S. 206
[2]
Bertolt Brecht: Wer aber ist die Partei? In: Bertolt Brecht, Gedichte,
Aufbau Verlag, S. 164
[3]
Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie.
Untersuchungen der oligarchischen Tendenzen der Gruppenlebens, Leipzig 1911