Die Parteihochschule der SED -

ein kritischer Rückblick

 

Leseprobe aus

 

Eberhard Röhner

  

Erfahrungen eines Lehrstuhlleiters

 

Fast zwei Jahre nach dem Kongress rief mich Hanna Wolf zu sich. Sie fragte mich, was ich davon hielt, Stephan Hermlin zu einer Lesung einzuladen. Ich traute meinen Ohren nicht, aber ich sagte sofort, dass ich das für eine gute Idee halte. "Na, dann mach mal. Rufe ihn an!" - Selbst am Telefon war Hermlin die Überraschung anzumerken. Aber er sagte sofort zu; er werde aus "Abendlicht" lesen. Unser Lehrstuhl lud ein, und viele, viele kamen, diesmal auch einige Lehrer aus anderen Lehrstühlen - in gespannter Erwartung. Vielleicht war ich am meisten gespannt: Welche Abschnitte würde er lesen? Danach hatte ich ihn mit Absicht vorher nicht gefragt. Stephan Hermlin hatte Texte ausgewählt, in denen er von seinem Eintritt in den kommunistischen Jugendverband erzählt, in denen er sich mit dem Faschismus auseinandersetzt und in denen es um die Eigenart seines poetischen Schaffens geht. Damit waren Themen angeschlagen, welche die Zuhörer besonders interessierten, ging es doch in ihnen um das Verhältnis von Kunst und Politik. Ein lebhaftes, gutes Gespräch begann; es zog sich über viele Stunden hin. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Am Ende warnte Hermlin davor zu glauben, dass die Auseinandersetzung mit dem Faschismus bei uns tiefer gehe als in der BRD. Vor allem die emotionale Seite dieser Auseinandersetzung müsse verstärkt und das Verantwortungsgefühl des einzelnen geweckt werden. Das waren - wie wir heute wissen - nahezu prophetische Worte.

 

Ich hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen, nicht Hanna Wolf. Sie nahm an der Veranstaltung auch nicht teil. Die Verantwortung für den Abend lag also bei mir. Was wäre gewesen, wenn er schief gegangen wäre? Wohl auch wegen der Spannung, in der ich mich befand - in meiner Erinnerung ist es eine der schönsten Veranstaltungen dieser Art. Die Studenten meines Seminars aber waren erstaunt. Sie hätten eine ganz andere Vorstellung von Hermlin gehabt, erzählten sie mir am nächsten Tag. Sie hätten ihr Bild korrigiert.

 

Hanna Wolf hatte die Möglichkeit, sich von ihrem Zimmer aus zuzuschalten und mitzuhören, und das hatte sie diesmal sicher getan. Sie lud Hermlin und mich nach dem Ende der Diskussion zu einem Gespräch in ihr Zimmer ein. Am nächsten Tag forderte sie mich auf, einen Bericht über die Veranstaltung zu schreiben. Er ging an Kurt Hager. Der leitete ihn, erfuhr ich später, an seinen Politbüro-Kollegen in Moskau weiter - wohl als Beispiel für die Bündnispolitik der SED mit der künstlerischen Intelligenz. Stephan Hermlin erinnerte sich noch Jahre später an diesen Abend, auch an Einzelheiten. Für ihn war er, erzählte er mir 1985 auf dem Kulturforum der KSZE in Budapest, wie ein Akt der Befreiung.