Die Parteihochschule der SED -

ein kritischer Rückblick

Leseprobe aus

Bernd Preußer

Parteihochschule im Umbruch

Die Situation im Spätsommer 1989 hatte für mich - erst recht jetzt im Rückblick - beinah etwas Unwirkliches an sich. Die Ereignisse des Sommers in Polen (Solidarnosc) und Ungarn (Abbau der Grenzanlagen), die Flucht von DDR-Bürgern in BRD-Botschaften in Budapest und Prag und die Ständige Vertretung der BRD in Berlin machten deutlich, dass Probleme herangereift waren, die die Existenz der DDR unmittelbar bedrohten. Es konnte einfach nicht so weitergehen, aber die offizielle Meinung der SED ging trotz einiger kritischer Wertungen dieser Ereignisse von einem "Weiter so" aus.

...

In dieser Situation fand vom 21. bis 30. August 1989 an der Parteihochschule ein Weiterbildungslehrgang für Staatsbürgerkundelehrer statt, bei dem, so weit ich das übersehe, die realen Probleme des Landes weitgehend ausgeblendet waren. Ich hatte in diesem Lehrgang einen Kurzbeitrag (15-Minuten-Vortrag nach einer 90-Minuten-Vorlesung) zur ideologischen Arbeit der SED zu halten und habe mich, das bekenne ich offen, durchaus an die vorgegebene Linie gehalten. Ich rechne mich durchaus zu den Menschen, die den Kopf zum kritischen Denken gebrauchen, aber ich war natürlich nie "Systemkritiker" oder sonst irgendwie "aufmüpfig". Trotzdem hatte ich im Zusammenhang mit diesem Kurzvortrag ein Erlebnis, dass mich noch tiefer nachdenken ließ. Die Vorträge wurden nämlich gedruckt, die Autoren bekamen wie üblich ein Belegexemplar, und ich bekam es unter vier Augen vom Prorektor für Forschung überreicht mit sinngemäß folgender Bemerkung: "Wundere Dich bitte nicht, wenn Du in deinem Beitrag einige Änderungen bemerkst. Du hattest darin ein paar Dinge, die man vielleicht in einer Vorlesung sagen, aber auf keinen Fall drucken kann." Da ich meinen Text natürlich schriftlich hatte, konnte ich feststellen, dass es um einige kritische Bemerkungen zu ideologischen Tendenzen unter Jugendlichen ging. Das fand ich schon seltsam. Ich habe darüber mit niemandem gesprochen, und da es ein Vier-Augen-Gespräch war, weiß ich nicht, ob andere auch ein solches Problem hatten.

Es war aber aus meiner Sicht durchaus charakteristisch. Die sich abzeichnende Dramatik der Situation wurde sicher von jedem irgendwie zur Kenntnis genommen, aber man ließ sie wohl nicht zu dicht an sich heran. Auf die am 4. September beginnenden Montagsdemonstrationen in Leipzig wurde zunächst damit reagiert, dass in der wöchentlich stattfindenden Information des Rektors festgestellt wurde, dass die Partei derartige Provokationen künftig verhindern werde. Auch das bewegte mich durchaus, denn ich kam aus Leipzig, hatte dort in der SED-Bezirksleitung gearbeitet, und einige meiner Verwandten lebten dort und waren an diesen Demonstrationen beteiligt.

Irgendwie warteten wohl alle auf eine deutliche Reaktion der Parteiführung, und die kam nicht. Am 4. Oktober kam es zu den turbulenten Szenen am und im Hauptbahnhof in Dresden im Zusammenhang mit der Durchfahrt der Sonderzüge, die DDR-Flüchtlinge aus der CSSR "in den Westen" brachten. Und am 7. Oktober war der 40. Jahrestag der DDR, auf dem der lange erkrankte Erich Honecker die Festrede halten sollte und die ja nun wohl klären musste, wie es denn nun in unserem Lande weiter gehen sollte. Und wieder kam nichts, Erich Honecker hielt eine Rede "wie immer", als ob es die dramatischen aktuellen Ereignisse nicht gäbe. Für mich war das das Schlüsselerlebnis, seit diesem Tag war mir klar, dass die DDR auf "normalem Weg", also mit dieser Führung, nicht erhalten werden kann. Nichtsdestotrotz hatte ich noch die Hoffnung, dass sich Menschen finden würden, die eine "Wende" im Sinne der weiteren Entwicklung der DDR zu einem wirklich sozialistischen Staat finden würden.