Die Parteihochschule der SED - ein kritischer Rückblick |
Vorwort
Vor 60 Jahren wurde die Parteihochschule „Karl Marx“ beim Parteivorstand (später: beim Zentralkomitee) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gegründet; nach fast 45 Jahren musste sie im Sommer 1990, also vor nunmehr 16 Jahren, ihre Tätigkeit beenden.
Die Parteihochschule
„Karl Marx“ nahm im Bildungswesen der DDR wie auch im SED-Parteischulsystem
eine spezifische Stellung ein: Sie
war Teil des zentralen Parteiapparates der SED, gehörte aber gleichzeitig zum
DDR-Hochschulsystem. Aus dieser „Zwitterstellung“ ergaben sich
Besonderheiten. So waren die Professoren und Dozenten der wissenschaftlichen
Arbeit verpflichtet und legten darauf auch großen Wert. Zugleich waren sie als
Parteifunktionäre, wie die PHS insgesamt, in ihrer Tätigkeit an die Beschlüsse
und Weisungen des SED–Zentralkomitees sowie seines Politbüros und
Sekretariats gebunden und hatten diese zur Grundlage ihrer Tätigkeit zu nehmen.
Die sich daraus ergebenden Konflikte sind unter anderem Gegenstand der
nachfolgenden Artikel.
Die Parteihochschule gehörte neben anderen Einrichtungen, wie der Akademie für Gesellschaftswissenschaften und dem Zentralinstitut für Sozialistische Wirtschaftsführung, zu den höchsten Ausbildungs- und Forschungsstätten der SED. Ihre Tätigkeit war vor allem darauf gerichtet, den Führungskräften in der Partei und im Staatsapparat, aber auch in den anderen Bereichen, wie der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur, eine höhere gesellschaftswissenschaftliche Qualifikation zu vermitteln, die sie zur wissenschaftlich fundierten Leitung in ihren Einsatzgebieten befähigen sollte. Insofern übte die Parteihochschule vor allem über ihre Absolventen (das waren insgesamt, alle Lehrgänge und Kurse über die Jahre gerechnet, etwa 25 000), Einfluss auf die Führungstätigkeit der SED und darüber hinaus auf die gesamte Entwicklung in der DDR aus.
Die Hochschullehrer und die anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter der PHS waren, ebenso wie die der anderen genannten Lehr- und Forschungseinrichtungen, gefordert, durch Analysen, Expertisen und andere wissenschaftliche Dokumentationen und Stellungnahmen die Ausarbeitung zentraler Parteibeschlüsse zu unterstützen, vor allem bei der Vorbereitung von Parteitagen der SED. Insgesamt aber kam das Potential der wissenschaftlichen Einrichtungen bei der Bestimmung und Entwicklung der Gesellschaftsstrategie der SED nur unzureichend zur Wirkung. Sie wurde im Laufe der Jahre immer geringer. Das traf besonders für die ökonomische Strategie zu, galt aber auch für andere gesellschaftliche Bereiche.
Wir
– ehemalige Lehrer der Parteihochschule – wenden uns mit der vorliegenden
Veröffentlichung vor allem an unsere Absolventen. Wir glauben, es ihnen
schuldig zu sein, Auskunft darüber zu geben, wie wir unsere damalige Arbeit,
mit dem Abstand von mehr als anderthalb Jahrzehnten, nach dem Scheitern des
Sozialismus sehen. Erste Antworten auf die Frage zu geben, welche Zusammenhänge
wir zwischen unserer Arbeit und diesem Scheitern sehen, ist ein Anliegen der
folgenden Artikel. Einige der Autoren haben darüber hinaus versucht, nicht nur
Vergangenes zu schildern und zu bewerten, sondern auch einen Blick auf
gesellschaftliche Entwicklungen der Gegenwart und – soweit das abschätzbar
ist – der Zukunft zu werfen.
Ein zweites Anliegen unserer Publikation ergibt sich daraus, dass es über die Tätigkeit der Parteihochschule bislang nur wenige Veröffentlichungen gibt. Die Autoren möchten also eine Lücke schließen oder wenigstens verkleinern helfen. Vielleicht können wir – als Zeitzeugen – mit unseren Texten andere, vor allem jüngere Historiker ermuntern, sich diesem Gegenstand zuzuwenden. Eine vorurteilsfreiere und nicht durch den Geist des „kalten Krieges“ bestimmte Forschung täte auch auf diesem Feld not.
Die Verfasser der vorliegenden Beiträge haben versucht, sich von überkommenen Klischees zu befreien und sachlich und objektiv zu berichten - ohne politische Standpunkte aufzugeben oder zu verleugnen. Es war ihr Anliegen, mit dem Blick auf ihre Lehrstühle, aus der Sicht ihrer persönlichen Verantwortung über Erfahrungen und Erlebnisse zu berichten. Nicht alle Lehrstühle und Tätigkeitsbereiche sind vertreten. Aber vielleicht werden sich nachfolgende Veröffentlichungen anderen Bereichen zuwenden, und auch die Studenten sollten zu Wort kommen.
In vielen Diskussionen der Autoren - sie haben sich über einen Zeitraum von gut anderthalb Jahren hingezogen - hat sich herausgestellt, dass es neben übereinstimmenden Ansichten auch Unterschiede in der Bewertung gibt. Sie betreffen die Tätigkeit der Parteihochschule im ganzen, aber auch die Bewertung gegenwärtiger und künftiger Entwicklungen. Diese Meinungsverschiedenheiten sollten weder ausgeklammert noch geglättet werden. Die vorliegende Publikation ist deshalb kein Gemeinschaftswerk im üblichen Sinne. Jeder Autor übernimmt für seinen Beitrag – und nur für diesen – publizistische Verantwortung. Zwei Beiträge – neben dem Vorwort auch der einführende Artikel „Geschichtliche Einblicke“ – werden von allen Autoren gemeinsam getragen.
Am Schluss möchten die Autoren nicht unerwähnt lassen, dass diese Veröffentlichung zurückgeht auf einen Anstoß von Dr. Eckhard Loth, Lehrer und Lehrgangsleiter an der PHS von 1980 bis 1990.
Berlin Mai 2006
Die Autoren