Die Parteihochschule der SED -

ein kritischer Rückblick

Meinungen, Rezensionen, Stellungnahmen

 

Ein wertvolles Buch

früherer Lehrer der SED-Parteihochschule

Kritische Sicht ohne Einknicken

 

Im „RotFuchs“ war einige Male (im Zusammenhang mit den Beiträgen von G. Fricke und F. Matho) von dem Buch „Die Parteihochschule der SED – ein kritischer Rückblick“ die Rede. Die Beiträge und ihre Verfasser machten mich neugierig, besonders weil ja bekannt ist, daß die meisten unserer Führungskräfte an der PHS ausgebildet wurden und daß letztere trotzdem (oder gerade deswegen?) in der Öffentlichkeit schon damals bei vielen den zweifelhaften Ruf hatte, ein Hort des Dogmatismus zu sein. Ich habe mir das Buch besorgt – trotz der in einer Literaturbeilage des ND erschienenen eher abschreckenden Rezension.

 Zuerst fiel mir angenehm auf, daß es sich nicht um isolierte Einzel-Rückblicke handelt, sondern daß die Lehrer noch immer als eine Art Kollektiv auftreten und ein gewisser Gesamteindruck von der Tätigkeit der PHS entsteht. Ich kenne kein ähnliches Projekt einer kollektiven kritischen Aufarbeitung der eigenen Tätigkeit durch die Mitarbeiter zentraler Partei- oder Staatseinrichtungen.

Die im Buch enthaltenen Beiträge geben einen Eindruck von der Breite des Lehrstoffes, der an der PHS behandelt wurde, und von der Art seiner Vermittlung. Schade, daß Fragen der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und Fragen des Staates, des Rechts und der Demokratieentwicklung in der DDR ausgespart wurden. Vielleicht standen keine kompetenten Vertreter dieser Fachrichtungen mehr zur Verfügung.

Das schmälert nicht den guten Gesamteindruck, den ich von diesem Buch erhalten habe. Ich möchte vier Punkte hervorheben, die es mir lesens-, nachdenkens- und diskussionswert erscheinen lassen.

1.) Die Beiträge aus den einzelnen Lehrstühlen sind in ihrer Anlage und auch im Stil sehr unterschiedlich. Sie machen aber deutlich: Es gibt Grundpfeiler in der theoretischen Vermittlung der Lehren von Marx, Engels und Lenin, von denen die ehemaligen Lehrer dieser Bildungseinrichtung auch 16 Jahre nach dem Untergang des Sozialismus in Europa nicht abweichen. Das heißt, es werden marxistische Standpunkte vertreten und verteidigt, und trotzdem entsteht nicht der Eindruck, die sozialistische Entwicklung in der DDR (und die eigene Lehrtätigkeit) würden glorifiziert.

2.) In vielen Beiträgen offenbart sich für Außenstehende, wie offen doch die PHS auch für Neues, Schöpferisches und Unkonventionelles war. Dazu gehörten das Auftreten von namhaften parteilosen Wissenschaftlern und Künstlern, von Praktikern aus Industrie, Landwirtschaft und Staatsapparat vor den Lehrern und Studenten und die Ausgestaltung von Lehrkabinetten zu sich international abzeichnenden Spitzentechnologien. Diese Initiativen dienten offensichtlich einem Grundanliegen: Wie können durch praktische Erfahrungen, durch neuartige Ideen und Arbeitsweisen Wege und Möglichkeiten gefunden werden, um den Sozialismus effektiver und attraktiver zu machen. Überrascht und angenehm berührt war ich auch durch die Darlegungen, in welchem Maße die PHS ständig ein Podium für internationale Arbeiterführer und marxistische Theoretiker von allen Kontinenten war.

3.) An vielen Stellen machen die Autoren deutlich, wie sie eine Balance zwischen der in Parteibeschlüssen vorgegebenen Linie, eigenen theoretischen Erkenntnissen und den Gegebenheiten und Erfordernissen des praktischen Lebens finden mußten. Manchmal wurde diese offensichtlich nicht erreicht. Anzuerkennen ist die selbstkritische Erkenntnis vieler Lehrer, daß sie – oft auch kurzsichtig und in naiver Parteigläubigkeit – fragwürdige wirtschafts- und kulturpolitische Maßnahmen nicht angezweifelt oder ihren Zweifeln nicht an den passenden Stellen genügend Ausdruck gegeben haben. Ich habe aber den Eindruck: Jeder der Autoren steht auf seinem Gebiet zur persönlichen, politischen und theoretischen Verantwortung, ohne sich zu verbiegen, aber auch ohne sich nachträglich als theoretischer Ketzer oder gar „Widerständler“ aufspielen zu wollen.

4.) Hervorheben möchte ich das Bemühen einiger Autoren, sich, auch über Lehrstuhlgrenzen hinaus, aktuellen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung zuzuwenden. Das geschieht besonders in den Beiträgen „Wie wir den Kapitalismus einschätzten und wie wir ihn heute sehen“ und „Worin wir die Ursachen unseres Scheiterns erblicken“.

Der zuletzt genannte Beitrag ist ein Versuch, den ungeheuer vielschichtigen Komplex der Ursachen für unsere Niederlage in Europa in einer Art Gesamtschau und aus historischer Sicht darzustellen. Dabei bemühen sich die Verfasser, den Ausgangsbedingungen und dem internationalen Kampf der Systeme Rechnung zu tragen, ihre Wirkungen auf das entstehende politische und ökonomische System des Sozialismus in der Sowjetunion und den um sie gruppierten Ländern zu berücksichtigen und bestimmte sich daraus ergebende Zwangslagen deutlich zu machen, die ihrerseits eigene Fehler zumindest begünstigten und letztlich zum Untergang der DDR beitrugen. Der Versuch der Verfasser scheint mir im wesentlichen gelungen. So habe ich das jedenfalls noch nicht gelesen.

 Gerade dieser Beitrag ist – auch, wenn vieles offen blieb – eine wirksame Hilfe bei der Suche nach Antworten, warum wir trotz des großen Erkenntnisschatzes von Marx, Engels und Lenin letztlich doch für längere Zeit so vernichtend geschlagen worden sind.

 Im Beitrag werden viele Überlegungen komprimiert, die zur Diskussion, zum Nachdenken, zu Schlußfolgerungen und zur weiteren analytischen Arbeit anregen. Es finden sich wesentliche Gesichtspunkte, Erklärungen und Denkhilfen, um von den Ursachen, Umständen und Bedingungen her den Untergang des Sozialismus in Europa und damit auch die Niederlage im persönlichen Lebensweg politisch und theoretisch richtig einzuordnen und zu entsprechenden persönlichen Einsichten zu gelangen.

Eigentlich hätte es hier Ansatzpunkte gegeben, sich noch stärker gegenwärtigen Problemen und Fragen nach der Zukunft zuzuwenden. Mich hätte z. B. interessiert, wie sich die ehemaligen Lehrer der früheren PHS heute, ausgehend von Marxschen Erkenntnissen, den weiteren Weg der Welt zum Sozialismus vorstellen und wie dieser Sozialismus, dem jetzigen Stand unseres Wissens nach, aussehen könnte.

Günther Rechtenbach

Unser Autor war stellvertretender Minister für Elektrotechnik und Elektronik der DDR.